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Wasserprobleme und Armut

Posted by admin at 23:10 on 13.04.2022

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Unter den Ärmsten Panamas zu wohnen kann ganz schön mühsam sein, aber auch extrem lehrreich. Wir sind darum trotz allem immer wieder sehr dankbar, hier mitten unter den Ngäbe leben zu dürfen. Denn hier zu sein, gibt uns einen tiefen Einblick wie die Dinge unter ihnen funktionieren oder eben nicht. So helfen uns gerade die teils extremen kräfte- und zeitraubenden Erlebnisse die Armut dieser Menschen, die uns so am Herzen liegen, besser zu verstehen. Im Moment ergeben sich für uns aus den Problemen mit der Wasserversorgung im Dorf viele wertvolle Einsichten.

Dass Wasser nicht einfach so aus der Leitung kommt, war uns schon immer bewusst. Warum aber in einem Land wie Panama, wo es neun Monate kübelweise regnet (bei uns bis 4000m3 im Jahr pro m2), überall Wassermangel herrscht, ist eigentlich nicht logisch. Besonders prekär ist die Lage in abgelegenen, ländlichen Regionen wie bei uns in der Comarca. Obwohl schon Millionen US-Dollar in Wasserprojekte «geflossen» sind, fließt in so manch verlegtem Rohr kein Wasser und es bleibt vielen nichts anderes übrig als das Wasser in Kanistern irgendwo am Bach zu holen.

Aber eben, im Unterschied zu vielen Ortschafen im Ngäbe-Gebiet, haben wir das Glück, immerhin eine «funktionierende» Wassersversorgung zu haben. Konkret heißt dies, dass im Idealfall das Wasser so ab 20:00 Uhr bei uns kommt und es dann im Laufe der Nacht schafft unsere Tanks zu füllen. Tagsüber kommt kein Wasser aus der Leitung. Weiter fällt gefühlt einmal wöchentlich die Versorgung für mindestens einen Tag aus, wenn irgendwo wieder ein Schaden im System ist. Häufig wird dies gar nicht gemeldet, wo es dann auch mehrere Tage gehen kann bis der Schaden behoben wird. Aber eben, trotz allem können wir im Vergleich mit anderen dankbar sein, dass zumindest immer wieder mal Wasser aus dem System kommt…

Die Frage ist: Wo genau liegt das Problem? Eine außenstehende Person wird vermutlich als erstes ein technisches Problem dahinter wittern und vielleicht meinen, dass mit ein paar neuen Rohren und einem Brunnen das Problem behoben werden könnten. Nun, wir stehen tatsächlich vor einigen technischen Herausforderungen, aber wie auch beim Thema Armut, ist die ganze Sache viel komplexer und beinhaltet auch gewichtige politische, soziale und kulturellen Faktoren. Daher lässt sich das Ganze auch nicht einfach mit Geld oder einem Hilfsprojekt lösen, denn das eigentliche Problem sind nicht die Rohre, sondern Menschen. Diese Erkenntnis bestätigt uns immer wieder in unserem Ansatz, wo wir uns viel mehr für eine Änderung der Denkweise unter den Ngäbe einsetzen möchten als für materielle Hilfen.

Entlüftungsventile unter Verdacht...

Zurück zu unserem Wasserproblem. Kürzlich hatten wir wieder mal für mehrere Tage kein Wasser. Die Leute verdächtigten mich, da wir gerade Entlüftungsventile installiert hatten (im Gegenteil helfen diese Ventile aber, dass es das Wasser nun besser über all die vielen Hügel schafft). Gemeinsam mit unserem «Wassermann» machten sich ein paar von uns im Dorf auf den Weg und fanden das Problem dann später am Anfang unserer 8km langen Wassersystems. Bei einer der Quellen hatte sich das Rohr gelöst, weil Kühe darüber trampelten. Die Kühe sollten zwar gar nicht hier rumlaufen, aber wäre das Rohr vergraben gewesen, wäre dies gar nicht passiert.

So kommt das Wasser bei uns nicht an...

Aber warum vergraben, wenn’s auch so geht? Leider sind die vielen «Überlandrohre» ein Hauptgrund für die häufigen Wasserschäden. So werden aus einer gewissen Bequemlichkeit heraus, viele Rohre einfach über der Erde geführt. Das Sonnenlicht macht dann die PVC-Rohre hart und dann braucht’s nicht viel, wenn irgendeines der vielen freilaufenden Tiere oder ein Mensch darüber stolpert. Als wir nun zur Quelle gingen, war der Schaden schnell repariert. Das Rohr wurde gerichtet und mit ein paar Stöcken provisorisch am Hang befestigt. Ja, es wird bis morgen wahrscheinlich halten, aber dann werden die Kühe nur einmal nießen und das Gewicht des Wassers wird das Rohr wieder den Hang runterließen.

Wie lange das wohl hält?

Ich war wieder einmal «baff», aber eigentlich nicht erstaunt. Denn es kommt hier ein starker kultureller Faktor zutage, nämlich die Ausrichtung am Unmittelbaren. Es wird wenig in die Zukunft gedacht, man lebt im heute und jetzt, so ganz im Sinne von Matthäus 6,34: «Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat». Nun, über diesen Vers nachzudenken täte sicher vielen im Westen gut, aber aus meiner (westlichen) Sicht wäre es trotzdem wünschenswert, wenn meine lieben Nachbarn, doch etwas mehr zukunftsorientiert Handeln würden. Vieles wird einfach so gelöst, dass es für den Moment funktioniert, ungeachtet dessen, dass man übers Gesamte häufig mehr Arbeit hat, wenn man immer halbe Sachen macht. So wie ich an diesem Nachmittag innerlich den Kopf schüttelte, war es für die anderen wohl ziemlich unverständlich, warum ich mir dann so viel Mühe machte, um das Rohr mit großen Steinen etwas stabiler zu unterlegen.

Letzte Woche, nachdem wir die Quellfassung gerade fertig gestellt hatten, war wieder die halbe Gegend ohne Wasser. Auf der nächtlichen Suche nach dem Fehler entdeckten wir nicht nur ein Leck (weil jemand unbefugt an einem Ventil hantiert hatte), sondern fanden heraus, dass ein lieber Mitbürger einfach einen Absperrhahn eingebaut hatte und dieser geschlossen war, so dass er zumindest Wasser hatte. Dies ist leider kein Einzelfall. Obwohl eigentlich verboten, gibt es überall solche Hähne, wo Einzelne einfach alle unten an der Leitung bei Bedarf abwürgen, um wenn wenig Wasser kommt selbst mehr Druck zu haben. Jeder tut was er will und schaut dabei zuerst nur für sich. Regelbrüche werden zudem leider selten geahndet. Es ist ein sozial-kulturelles Problem, welches das Zusammenleben erschwert und Chaos fördert. Als dann der Schaden behoben war und wir den Hahn öffneten, hörten wir es bei mehreren im Garten plätschern (der Wasserhahn steht meist vor dem Haus). So hatten die lieben Leute einfach die Hähne offengelassen und waren ins Bett gegangen. Hätten wir es nicht gesehen, wäre das Wasser an diesem Abend bei den meisten trotzdem nicht angekommen. An diesem «erfolgreichen» Abend kam ich um 23:30 Uhr müde, aber zufrieden nach Hause. Der Tank füllte sich zum Glück in der Nacht, denn am nächsten Abend kam schon wieder kein Wasser...

Der nächste Schaden ist mit einer Reparatur bereits vorprogrammiert

Apropos Schäden: Wenn irgendwo ein Rohr platzt, wird anstatt ein gekauftes Verbindungsstück zu verwenden, das Rohr mit einem selbstgebastelten «Flick» repariert. Dazu wird ein Rohrstück im Feuer erwärmt, um es als Verbindungselement zu adaptieren. Diese Technik mag im Notfall nützlich sein, ist aber bei einem Druck von teils um die 15 Bar keine sinnvolle Lösung. Auch hier sieht man wieder die Ausrichtung am Unmittelbaren. Dazu kommt die vielzitierte Ausrede «wir haben halt kein Geld». Logisch haben diese Leute, die zu den Ärmsten dieser Welt gehören, nicht viel Geld. Würden alle Haushalte aber zumindest ihre 50 Cent Gebühr pro Monat zahlen, könnte schon viel mehr getan werden. Aber leider macht jeder was er will…einige zahlen schon seit Jahren keinen Cent, jammern aber, wenn sie kein Wasser haben…

Nebst den sozialen und kulturellen Einflüssen auf unsere Wassersversorgung, haben wir natürlich auch ein technisches Problem. So bräuchte es ein gut konzipiertes Rohrsystem, Druckbrechertanks und Entlüftungsventile. Leider fehlte dies bisher alles. Eigentlich wäre es ja Aufgabe der Regierung die Wasserversorgung sicher zu stellen, aber sie tut es nicht. Die Aufgabe wird an die Dorfgemeinschaft delegiert, die als eine Art Verein selbst für sich zu schauen hat. Letztens hatten wir aber das Glück, dass fast über 80'000 USD zur Verfügung gestellt wurden, um das System zu verbessern. Was genau verbessert werden sollte, war zwar im Projektbeschrieb der Regierung nicht klar erkennbar. Um die Geschichte kurz zu halten: die Firma machte nicht viel und zog dank korrupter Beamten bald von dannen, ohne irgendetwas richtig fertig gestellt zu haben. Hier haben wir ein politisches Problem, wo Korruption und das fehlende Interesse der Regierung weitere Faktoren darstellen, die zum Elend der Menschen beitragen.

Es ist nicht das Ziel dieses Artikels die Ngäbe in ein schlechtes Licht zu stellen. Es sind auch nicht alle unsere Erlebnisse so negativ wie es gerade vielleicht wirken mag. So war z.B. der Bau der Quellfassung ein absolut motivierendes Erlebnis. An mehreren Tagen beteiligten sich bis zu 70 Personen und halfen engagiert mit. Selbst Frauen halfen die Tonnen an Kies, Sand und Zement zu tragen die zuerst einmal von der Straße über ein Kilometer zur Quelle gebracht werden mussten. Dann galt es tonnenweise große Steine zu sammeln. Ohne die vielen guten Mitarbeitern wäre es nicht möglich gewesen in nur 8 Tagen so eine große Quellfassung zu bauen. Wir haben dafür über fünf Kubik Sand und Kies verarbeitet und 55 Säcke Zement verwendet.

Der Bau der Quellfassung - ein motivierendes Erlebenis!

Aber eben, es gibt auch die andere Seite. Mit unserer Darstellung zielen wir darauf zu zeigen, wie stark die Denkweise der Leute deren Armutssituation betrifft. Leider wird aber allzu häufig ein Bild vermittelt, dass mit irgendeiner schlauen Idee in Form eines Hilfsprojekts den Armen schnell geholfen werden kann. Je länger wir aber hier leben, sind wir überzeugt, dass materielle Hilfen, ja selbst Schulungen, nutzlos sind, wenn sich das Denken der Menschen (inkl. Das der Politiker und Hilfsorganisationen) nicht verändert. In Zukunft möchten wir darum auch gar nicht Wasserprojekte leiten und mitfinanzieren. Im aktuellen Fall sind wir ganz einfach als Teil der Dorfgemeinschaft mitbetroffen und setzen uns darum dafür ein für uns und andere die Situation mit dem Wasser zu verbessern. Längerfristig sehen wir unseren Schwerpunkt vielmehr Veränderungsprozesse zu fördern die beim Einzelnen als Teil der Gesellschaft ansetzen. Dieser Ansatz beinhaltet einen schwierigen und langen Weg und lässt sich viel weniger gut «bewerben» wie so manche coole, aber langfristig nutzlose Hilfsprojekte. Wir sind aber überzeugt, dass die Arbeitsweise die am Denken des Einzelnen ansetzt letztlich viel nachhaltiger ist. Anstatt für die Leute ihre Probleme zu lösen, möchten wir Hoffnung schenken und Veränderung anregen, so dass die Menschen die Herausforderungen ihres Umfeldes selbst meistern können. Mehr zu diesem Thema findet sich auch in unserem aktuellen Beitrag im SMG Magazin „Wenn materielle Hilfe und Schulungen nichts bringen...“.