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Wenn nur noch das Verfluchen bleibt...

Posted by admin at 06:10 on 23.06.2021

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...da ist etwas im Busch

Immer wieder gibt es Stimmen die behaupten, man solle doch die indigenen Völker einfach in Ruhe lassen, da sie ja so glücklich seien. Aus unserer Sicht stehen Aussagen dieser Art in einem krassen Gegensatz zur Realität, in der diese Menschen leben. Natürlich sind die Ngäbe z.B. viel gelassener als wir, natürlich hören wir wie die Kinder im Dorf lachen und sehen, wie sie auch mit einem kaputten Fussball ihren Spass haben können. Weiter sind für die Leute hier Begriffe wie Stress und Burnout unerklärlich. Eigentlich grossartig, nicht? Aber es gibt eben auch eine andere Seite, die von Aussenstehenden meist gar nicht wahrgenommen wird. So ist, nebst den kulturell verankerten Alkohol- und Gewaltproblemen oder der Unlösbarkeit von persönlichen Konflikten, der Alltag der Ngäbe von Angst geprägt. So fürchtet man sich vor Flüchen, vor dem bösen Blick oder auch vor Träumen. Beim Sterben rechnet man nicht in die idyllischen, ewigen Jagdgründe einzugehen, sondern fürchtet in ein tiefes, schreckliches Loch zu fallen... So ist es nicht verwunderlich, wenn diese Menschen die christliche Botschaft als eine wahre Befreiung erleben! Wer es nicht glaubt, ist herzlich willkommen sich nach der Coronazeit hier mal vor Ort zu vergewissern...

Natürlich möchten wir vermeiden, den Ngäbe einfach unsere europäische Denkweise aufzusetzen. Denn das was der reiche Westen als gut erachtet, ist tatsächlich nicht alles goldig und im hiesigen Kontext vielleicht sogar schädlich. In diesem Sinn stehen wir auch Aussagen wie z.B., dass man den Armen das Fischen beibringen soll, anstatt Fische zu schenken, eher kritisch gegenüber. Ein Fisch zu schenken, löst keine Probleme, das weiss man mittlerweile (wird aber trotzdem grösstenteils immer noch gemacht da es bei Spendern und auch in der Politik gut ankommt). Aber, genauso wenig werden Probleme gelöst, wenn ein Aussenstehender mit einer teuren importierten Fischerrute jemandem hier das Fischen beibringen möchte. Denn die indigenen Menschen brauchen tatsächlich keine westlichen Fischerruten oder Kurse wie man fischt, da sie ganz gut auf ihre eigene Weise zu fischen wüssten. Es ginge auf ihre Art vielleicht etwas anders und länger, aber Zeit haben sie ja. Ihr Problem ist nicht das fehlende westliche Material oder Know-How, sondern liegt woanders in einer komplexen Sammlung diverser Faktoren welche sie in Hoffnungslosigkeit und Armut gefangen halten. So ist die Ursache ihrer Armutssituation nicht zuerst in ihrer prekären finanziellen Situation oder dem Mangel an allem Möglichen zu finden, sondern entspringt vielmehr der Tatsache, dass sie sich nicht in der Lage sehen ihr Leben so zu gestalten, wie sie es gerne hätten. Sie haben keine Hoffnung und sind gefangen in einem System der Ausbeutung und Diskriminierung in einem Land, wo für sie die Kolonialzeit bis heute nicht zu Ende ging. Genauso sind sie leider zusätzlich durch hinderliche Elemente in ihrer Kultur und Denkweise gefangen.

Wer sich für den Aspekt der kolonialen Ausbeutung von Kolumbus bis heute interessiert, sei hier gerne auf die Artikel zur Armut oder die Geschichte der Ngäbe verwiesen oder auch auf unseren Videovortrag «Hoffnung am Rande des Abgrunds». An dieser Stelle möchte ich mich nun einem schwierigen Aspekt ihrer Kultur widmen. Dem ganzen möchte ich vorausschicken, dass jede Kultur – auch unsere, sowohl positive wie auch negative Aspekte hat. Es geht uns hier keinesfalls darum, die indigene Kultur der Ngäbe einfach als schlecht darzustellen. Wir möchten hier aber anhand eines eigenen Erlebnisses zeigen, dass man hier weit davon weg ist von „Friede, Freude, Eierkuchen“. Damit komme ich nun auf die Ziege unseres Nachbarn zu sprechen.

...des Nachbars ziege: ein «gefährlicher»Mähdrescher

Des Nachbars Ziege ist wirklich ein blödes Viech. Sie kann zwar eigentlich nichts dafür. Sie ist einfach eine Ziege und macht was Ziegen halt so machen: fressen wie ein Mähdrescher. Die Ursache für unser Problem mit dieser Tatsache ist aber weder bei der Zeige noch bei unserem Nachbarn zu suchen. Es hat seinen Ursprung darin, dass irgendein Entwicklungsprogramm hier der Meinung war, dass den Leuten geholfen wäre, wenn ein paar Glückliche eine einzelne Ziege bekommen würden (in einem für die Tiere völlig unpassendem Klima). Dank diesem «genialen» Einfall, haben die «Beschenkten» nun einfach mehr Arbeit mit einer für sie nutzlosen Ziege, die sie - weil eigentlich unbekannt - weder für Milch und leider auch nicht für Fleisch nutzen (ich sage leider, denn dann wäre sie weg und unser Problem gelöst). Folglich wird die Zeige nebst Hühnern, Hunden und Schweinen einfach als ein weiteres Haustier gehalten, gilt aber für den Besitzer als ein gewisses Statussymbol.

...Ziegen am Seil: nicht immer so eine robuste Sache!

Dieses neue Haustier hat es aber in sich. Wie die meisten Tiere der Ngäbe ist es sehr hungrig und scheint aber noch viel mehr als die Pferde, Schweine oder Hühner unserer Nachbarn eine Vorliebe für fremde Gärten zu haben. Da Zäune hier eher unüblich sind, ist der Zugang auf unser Landstück relativ einfach. Die Ziege wird zwar immer irgendwo im Gebüsch angebunden, aber die Kinder unseres Nachbarn nehmen das mit dem Anbinden nicht immer so genau oder sie frisst halt das Seil, wenn der Hunger mal zu gross ist. So passierte es zuletzt innerhalb weniger Tage, dass die Ziege mehrmals auf unserem Landstück einkehrte und einige meiner frisch gesprießten Maniokpflanzen und junge Bananenstauden auf den Speiseplan aufnahm. Unser Hund schlief wie immer in solchen Fällen und wir waren weg oder haben es zu spät gemerkt. Ärgerlich!

Natürlich bekommt man in solch einem Fall hier keine Entschuldigung. Diese bekam ich auch letztes Jahr nicht als das Pferd eines Pastors im Dorf auch damals die frisch gepflanzten Manioksprossen weg mähte. Was kann oder darf ich hier in solch einem Fall tun? Nichts und nochmals nichts! Als ich kürzlich mit einem einheimischen Freund darüber sprach, sagte er mir, dass ich das Thema keinesfalls mit dem Nachbarn ansprechen soll. Wenn ich das tue, würde es nichts bringen und ich hätte mir nur einen neuen Feind geschaffen. Für mich als Deutsch-Schweizer ist das bis heute unverständlich. Da haut man doch lieber mal kurz und kräftig auf den Tisch, sagt was Sache ist, redet darüber und dann ist wieder alles gut. So läuft das hier nun aber nicht. Konflikte werden traditionell nicht gelöst und schon gar nicht angesprochen. Nicht einmal den Ärger darf man zeigen. Dies gilt als Gesichtsverlust und wäre somit eine Schande für denjenigen der sich ärgert.  Passiert es dann eben doch mal, dass ein Problem zur Sprache gebracht wird, führt es meist zum Bruch der Beziehung. Sich zu entschuldigen oder jemandem zu vergeben ist ungewöhnlich, es existiert nicht einmal ein eigenes Wort für «Vergebung» in ihrem Vokabular. Es kann dann schon mal passieren, dass nach langer Zeit eine Versöhnung geschieht. Dies passiert meist indem man den anderen besucht und ein Geschenk mitbringt, aber über das Problem zu reden bleibt auch dann ein tabu (dafür wird umso mehr hintenrum geredet).

Zurück zu der Ziege: Ich bin ratlos. Mit Reden lässt sich das Problem offensichtlich nicht lösen. Aber was kann ich tun? Soll ich mir vielleicht ein Gewehr kaufen und das Tier erschiessen? Das ist aber irgendwie auch keine Lösung und dem guten Ruf sicherlich nicht dienlich (und ich bin ausserdem kein so guter Schütze). Dann kam mir ein weiterer „guter“ Gedanke: ich bete, damit Gott das Tier sterben lässt. So lässt sich doch das ganze recht friedlich lösen! Nicht? Als ich so meine etwas ratlosen, aber auch tendenziell bösen Gedanken wälze, wird mir bewusst, dass ich damit genau beim hiesigen Konflikt-Lösungsmuster gelandet bin. Da man nicht miteinander reden kann, bleibt nur noch der „indirekte“ Weg: der gefürchtete Zauberfluch. Natürlich würde ich niemals zu einem Zauberer gehen, um jemand verfluchen zu lassen. Aber mit meinen Gedanken Gott zu bitten mir das Tier aus dem Weg zu räumen, ist zwar die von mir gewählte Methode anders, das Ziel aber genau das gleiche (nicht gut und trotzdem: ganz ehrlich, wäre es mir schon recht, wenn das Tier bald mal weg wäre).

Die Frage ist: gibt es eine andere Lösung? Eine schnelle oder einfache sicher nicht. Ich werde zwar dem Nachbar demnächst ein Stahlseil mit Karabiner schenken, aber mehr liegt in diesem Fall nicht drin. Wenn die Geiss dann mal wieder zuschlägt, darf ich nichts sagen und auch auf keine Entschädigung oder überhaupt auf ein «sorry» hoffen.

Situationen dieser Art sind höchst unbefriedigend, auch für die Ngäbe, wie ich es immer wieder zu hören bekomme. Aber was kann man tun? Wie in vielen anderen Bereichen braucht es hier eine Entwicklungszusammenarbeit, die nicht darauf aus ist Dinge zu schenken, sondern vielmehr beim Denken der Leute ansetzt und auf wertschätzende Art Veränderungsprozesse anstösst. Aus diesem Grund sehen wir praktische Schulungen, die das selbstständige Denken anregen und das längerfristige prozessorientierte Arbeiten mit Gruppen (z.B. mit Selbsthilfegruppen) als wichtige Elemente unserer zukünftigen Arbeit. Über all dem ist die gute Botschaft der Bibel der absolute Hoffnungsbringer und aus unserer Sicht, die beste Grundlage für nachhaltige Veränderungen. Hier findet man nicht nur wertvolle Richtlinien zu Themen wie Vergebung oder Konfliktbewältigung, sondern sogar Beispiele, inwiefern der Bauer für den Schaden, den sein Tier anrichtet, haftet. Diesbezüglich möchten wir andere motivieren, als Christen nicht einfach ein wenig frommer und brave Kirchgänger zu werden, sondern sich auch in Alltagsfragen von Gott verändern zu lassen. All dies beinhaltet einen langen Weg, den es uns aber Wert ist zu gehen, mit dem Wunsch einen Beitrag dafür zu leisten, dass für die Ngäbe eine bessere Zukunft möglich wird.